Nach wie vor gehen sowohl weite Bereiche der Forschung als auch viele Unternehmen davon aus, dass eine möglichst präzise und detaillierte Stellenbeschreibung die ‘halbe Miete‘ für die erfolgreiche Besetzung einer offenen Position ist. Schließlich können so potenzielle Kandidaten am besten einschätzen, ob sie zu der Position passen, die Vorauswahl der Kandidaten ist stark vereinfacht und die innerbetrieblichen Strukturen und Kompetenzfelder sind eindeutig definiert, klar voneinander abgegrenzt und schlüssig. Viele Stellenanzeigen nennen dann auch haarklein alle Detailanforderungen und legen genau fest, welche Art von Mensch zu dieser ganz speziellen Position passt. Doch ist dieser Ansatz wirklich noch zeitgemäß?
Berücksichtigung möglicher Wechselmotivationen
Der Arbeitsmarkt für die freie Wirtschaft hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten nach und nach von einem Arbeitgebermarkt hin zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt. Und das nicht nur für einige wenige ‘Engpassberufe‘ und -Qualifikationen, sondern nahezu über die gesamte Bandbreite an Fachkräften, die nicht ohne Berufsausbildung dastehen. Dazu kommt ein ganz anderes Selbstverständnis der ‘Generationen Y und Z‘ von Beruf, Karriere, Erfolg und Sinnhaftigkeit der Arbeit.
Ob ein potenzieller Kandidat tatsächlich den Job wechselt, hängt maßgeblich von dessen möglicher Motivation ab. Die überwiegende Mehrzahl aller Ausschreibungen richtet sich an erfahrene Bewerber, die ohne lange Integration frühzeitig Erfolge erzielen. Gesucht wird immer nach den Besten ihres Métiers. Man spricht dabei von einem ‘horizontalen Wechsel‘. Nur warum sollten ausgerechnet die Guten oder Besten das ‘gemachte Nest‘ verlassen, ihr erfolgreiches Umfeld aufgeben und ein Stück weit wieder von vorne anfangen?
Weil das suchende Unternehmen etwas ganz Besonderes ist? Nun, das sagt jedes Unternehmen von sich, meist auch zu Recht.
Weil die Produkte einzigartig sind? Das ist nur die eigene Einschätzung, höchstens ein Monopolist könnte dieses Argument vorbringen oder Hersteller von ‘Trendprodukten‘.
Weil das suchende Unternehmen besser bezahlt? Das mag sein, aber es ist schon erstaunlich, was sich ein ‘abgebendes‘ Unternehmen alles einfallen lässt, wenn sich einer seiner Leistungsträger umorientieren möchte, womöglich noch hin zu einem Wettbewerber. Überproportionale Gehaltsanpassungen sind dabei noch die leichteste Übung, dazu kommen häufig Beförderungen, Kompetenzerweiterungen, Auslandsaufenthalte, Boni und Unterstützung für Weiterbildungen – alles Dinge, die jahrelang nie möglich waren. Ich möchte nicht wissen, wie oft eine drohende Abwerbung der Anlass für deutliche Schübe in der internen Personalentwicklung und Vergütungsstruktur darstellen – und das alles dank dem direkten Wettbewerb.
Weil der Arbeitsplatz sicher ist, es umfangreiche Sozialleistungen und ein flexibles Arbeitszeitmodell gibt? Oh bitte, das ist seit Jahrzehnten schon nicht mehr maßgeblich. Die Guten ihres Métiers sind nicht auf einen sicheren Arbeitsplatz angewiesen oder sie arbeiten schon verbeamtet, bei einem Großkonzern oder im öffentlichen Dienst.
Weil es Weiterentwicklungsperspektiven gibt? Natürlich erst nach einer Bewährungszeit, falls freie Positionen vorhanden sind, wenn ein Ersatz gefunden wurde und insgesamt ohnehin eher unkonkret. Was soll die Besten ihres Métiers davon abhalten, nicht gleich direkt in eine weiterführende Position an anderer Stelle zu wechseln, wenn das ihr Ziel ist?
Weil, weil …. jeder Mitarbeiter mit Respekt behandelt wird, es nur tolle Chefs gibt und es akzeptiert wird, dass das soziale Umfeld, die ureigene persönliche Entfaltung und Weiterentwicklung und die Familie mindestens so wichtig sind wie Beruf und Karriere? Jetzt kommen wir der Sache schon viel näher und haben hier vielleicht einen möglichen USP. Aber wie häufig begegnen Ihnen solche Formulierungen in Stellenanzeigen oder in den entsprechenden Online-Karriereseiten von Unternehmen?
Eine zumindest einigermaßen professionell arbeitende Personalberatung nimmt die Wünsche des suchenden Unternehmens auf und auch dessen subjektive Besonderheiten und Vorzüge. Was folgt ist ein sehr hoher Suchaufwand, verbunden mit hohen Kosten und viel Frustration, an dessen Ende nicht immer der Erfolg steht. Eine gute Personalberatung hingegen entwickelt gemeinsam mit dem Unternehmen reelle, nachprüfbare USP’s, berät, wie entscheidend die Berücksichtigung der Motivationsfaktoren auf Bewerberseite ist, passt ggf. in Absprache mit dem Unternehmen Anforderungen und Erwartungen entsprechend an – und besetzt die offene Position mit einem Leistungsträger, der auch kulturell zu dem Unternehmen passt.
Arbeitsmarkt
Dann ist da noch der Arbeitsmarkt, geprägt durch den vielbeschworenen Fachkräftemangel. Gerade vor kurzem las ich einen Artikel über den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), in dem von mittlerweile 1,6 Millionen fehlender Fachkräfte in Deutschland ausgegangen wird. Das heißt, dass zahlreiche Positionen für Menschen mit Berufsausbildung oder akademischer Qualifikation, bei denen ein Angebotsüberhang besteht, nicht besetzt werden können. Daraus ergeben sich für suchende Unternehmen und den gesuchten Fachkräften u. a. diese Folgen:
Eine potenziell einem Wechsel positiv gegenüberstehende Fachkraft findet eine gleichwertige Stelle in aller Regel auch ‘vor der Haustüre‘. Die Bereitschaft für einen horizontalen Wechsel umzuziehen, ist bis auf einzelne Ausnahmen in Form von besonderen persönlichen oder privaten Gründen faktisch nicht mehr vorhanden
Erfolgreiche ‘fest im Sattel sitzende‘ Bewerber möchten mehr und mehr angesprochen werden auf offene Position und nicht selbst viel Zeit in das Durchsuchen von Stellenportalen investieren
Eine Bewerbung muss ohne viele Hürden möglich sein. Überfrachtete Online-Fragebögen mit zu vielen Fragen oder/und der Anforderung, den Lebenslauf ‘manuell‘ in ein vorgegebenes Raster einzugeben, oder eine umständliche Menüführung schrecken ab und verhindern häufig eine Bewerbung. Unkompliziertheit ist hier Trumpf
Eine typische Personalberatung bezieht sich auf ‘bewährte Standardprozeduren‘, ‘einheitliche Vorgehensweisen‘, ‘strukturierte Abläufe‘ …., mit anderen Worten wird die zu besetzende Position völlig unabhängig von der tatsächlichen Situation in ein Rekrutierungskorsett gezwängt, das durchgezogen wird (und bezahlt werden muss), ob sinnvoll und notwendig oder nicht. Eine gute Personalberatung hingegen hat einen sehr guten Marktüberblick, berät hinsichtlich der passenden Rekrutierungsstrategie und einer individuellen Vorgehensweise, berücksichtigt Wechselwirkungen und spricht nur die Menschen individuell an, bei denen tatsächlich eine realistische Chance auf einen Wechsel besteht. Ggfs. verändert sie gemeinsam mit dem Unternehmen die Anforderungen, Erwartungen und Rahmenbedingungen so, dass eine erfolgreiche Besetzung auf dem ökonomisch günstigsten Weg wahrscheinlich ist.
Flexibilität nicht nur auf Kandidatenseite fordern, sondern auch als Unternehmen bieten
Das Beharren auf der vollständigen Erfüllung der Kriterien in einer Stellenbeschreibung ist sehr häufig der Grund dafür, dass Schlüsselpositionen monatelang nicht besetzt werden. Aufgaben, Verantwortungen und Kompetenzen werden immer spezieller, je mehr sich die Technik weiterentwickelt und über je mehr Wissen wir verfügen. Entscheidend ist es, das Potenzial eines Kandidaten zu erfassen und die Bereitschaft zu haben, in jeden neuen und vorhandenen Mitarbeiter zu investieren. Die strikte Differenzierung und das Festklammern an ‘Must-Have‘, ‘Should-Have‘ und ‘Nice-To-Have‘ – Kriterien bei der Kandidatenauswahl ist nicht mehr zeitgemäß, weil sie häufig weder alle Stärken eines potenziellen Leistungsträgers noch die sich verändernde Arbeitswelt abbilden. Es gilt die Stärken zu fördern und evtl. Schwächen auf ein noch akzeptables Niveau zu bringen. Falls dies die Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Team beeinflusst, können andere Mitarbeiter die Felder abdecken, in denen ‘der Neue‘ Schwächen hat und umgekehrt. Dies bietet eine einmalige Chance zur persönlichen Weiterentwicklung. Für Vorgesetzte und den HR-Bereich ist das eine schwierige Aufgabe. Jetzt bestehen aber deutlich bessere Chancen, Spezialisten und Leistungsträger für das Unternehmen zu gewinnen, da diese sich jetzt auch dort entfalten können, wo sie sich besonders wohl fühlen und anerkennen, dass das Unternehmen jeden Mitarbeiter wertschätzt, ihn fördert und die geforderte Flexibilität in gleichem Maße zurückgibt. Diese eigene Flexibilität ist somit ein Instrument des Employer Brandings, sorgt für ein Alleinstellungsmerkmal und erhöht die Mitarbeiterzufriedenheit. Dann bleiben die hart umkämpften Spezialisten auch.
Allein eine detaillierte Stellenbeschreibung und eine darauf beruhende Stellenanzeige reichen bei weitem nicht mehr aus, um Fachpositionen erfolgreich besetzen zu können. Oft wirken sie sogar kontraproduktiv. Moderne innovative Unternehmen sind ständig lernende und sich verändernde amorphe Strukturen. Aufgabengebiete und Arbeitsbereiche werden nach den jeweiligen Stärken der Mitarbeiter ausgerichtet, es gibt kein starres Stellengefüge mehr. Jeder Austritt und jeder Neueintritt einer qualifizierten Fachkraft führt zu Veränderungen, die wiederum die Performance des Unternehmens beeinflussen. Auf dem Arbeitsmarkt erfolgreiche Unternehmen richten sich nach den Stärken, Neigungen und Erwartungen einer qualifizierten Fachkraft und versuchen nicht, diese unter vielen persönlichen Abstrichen in ein starres Stellenkorsett zu zwängen.
Gute Personalberatungen durchleuchten auf dieser Basis die je nach Berufsgruppe unterschiedlichen Motivationsfaktoren für einen Wechsel, liefern außerdem einen Marktüberblick und berücksichtigen die Wechselwirkungen zwischen allen drei Hauptentscheidungsfaktoren. Als Dienstleister auf Augenhöhe legen sie gemeinsam mit dem Kundenunternehmen die für eine erfolgreiche Besetzung notwendigen Bedingungen und Suchstrategien fest und helfen so dem Kundenunternehmen, sich auf einem engen Arbeitsmarkt zu behaupten und als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.
Über den Autor:
André Huber ist seit 12 Jahren Consultant und Managing Partner in der Personalberatung. Er gehört dem Unternehmernetzwerk von Passion for People an. Zuvor war er 19 Jahre in Spezialisten- und Führungspositionen im Personalbereich sowohl bei Familienunternehmen als auch internationalen Industriekonzernen im Einsatz.